Zwischen Fluss und Meer

Zwischen Fluss und Meer

Franziska Beyer-Lallauret, geboren 1977 in Sachsen, arbeitet als Deutschlehrerin für Sprache und Literatur an einem Lycée in der Region Pays de la Loire. Neben ihrer Lehrtätigkeit hat sie bislang drei Lyrikbände im Dr. Ziethen Verlag veröffentlicht. Der erste Band, Warteschleifen auf Holz, erschien 2015, sieben Jahre später folgte Falterfragmente/ Poussière de papillon, Beyer-Lallaurets erster zweisprachiger Band, auf Deutsch und Französisch, den beiden Sprachen, in denen sie sich tagtäglich bewegt.

Der aktuell dritte Band Lauschgoldfisch/ Brise Âme (2025) kreist, wie der deutsche Titel bereits andeutet, um das Thema Wasser. Die hellblaue Farbe des Umschlags und der aquarellierte Fisch rufen Erinnerungen an Tage an der See wach. Die Sprache selbst ist hier in Bewegung geraten wie schwimmende Fische: Das Titelpaar eröffnet ein vieldeutiges Spiel – man lauscht auf ein Gefühl von Wellenbewegungen, eingefangen im „Lauschgoldfisch“, und trifft zugleich auf einen „Seelenbrecher“ (Brise Âme), der die Gedichte aufschließt und auf die gefühlvolle Komponente des Bandes anspielt.

Beyer-Lallaurets Lyrik verortet sich zwischen dem Atlantik und der Loire – „zwischen den Stühlen“ (entre deux chaises) nennt sie das selbst im Gedicht „Nebensonnen“ (Parhélies). Die bevorzugten Dichtorte changieren zwischen diesen Landschaften, wobei die Grenze zwischen Bretagne und Loire-Tal zur neuen Heimat wurde – ihr lyrisches Ich jedenfalls spricht von „Zweitheimathäfen. Es sind die Flüsse und Täler, Mulden und Flussbetten, Felder, die die Dichterin anziehen, jene Übergangszonen am Wasser, an Ufern und Küsten, wo man sich an den Rand setzen, die Zeit verfließen und die lyrische Seele treiben lassen kann:

Heuballen sind Monde
Sie scheinen
Aus Wiesen heraus
Am Nachtrand
Gerinnt das Gras
Die Abende haben Narben
In den Himmeln
Fallen trocken ins leere
Bett der Loire
Die uns einander nicht
Näherbringt
In ihrer Haut stecken
Wenige Splitter
Aus blauen Stunden

(aus: „Scherben“)

Die Muse des lyrischen Ichs ist ein Du, dem sich die Sprecherin mal offen, mal zögerlich zuwendet, durch direkte Anrede oder Possessivpronomen der zweiten Person. So entsteht ein Zwischenraum: ein poetisches Feld, das stets von Natur durchzogen ist. Die beiden namenlos bleibenden Figuren treten über Landschaften, über Naturbeobachtungen, vor allem über das Meer miteinander in Verbindung. Dies bildet ihr gemeinsames Bezugssystem, ohne dass jedoch das Du auf die Ansprachen des lyrischen Ichs direkt reagiert. So entsteht der Eindruck einer platonischen und rein künstlerisch motivierten Beziehung.

In diesem Zusammenhang entfaltet auch der Titel seine Mehrschichtigkeit: Das Spielerische, das Sprachmittelnde und das philologisch Wortversessene des Begriffs „Lauschgoldfisch“ (Brise Âme) ist programmatisch für den gesamten Band. Es zeigt sich in Neologismen wie „Einzellerphrasen“, „Tanzsand“, „Vollmondnarkose“ oder „Tintenmeer“. In einer philologisch meisterhaften Weise übersetzt die Autorin die Wortneuschöpfungen ins Französische .

Das Aufleuchten pflückst du nachts
Vom Granit unter den Türmen
Zwischen Treibsalz und Tanzsand
Hältst du im kühlen Bereich
Die grüne Strenge des Wassers aus

Auf Französisch lauten die Verse:

Tu cueilles les coruscations
Des flèches collées
Aux éperons miroitants
Entre voltes vertes
Et sels mouvants tu t’infliges
Le granit de la rive
L’austérité des courants.

(aus: „Transparence“)

In der Übersetzung entsteht eine neue sprachliche Textur: Die Wortkombinationen setzen stärker auf Adjektivattribute und entlegene Substantive, während Neologismen weitgehend vermieden werden. Dadurch schwingt der Tonfall in eine gehobenere, beinahe vergeistigte Poetik des lyrischen Sprechens. Demgegenüber wirkt die deutsche Fassung, die vermehrt Verben und Neologismen verwendet, an einigen Stellen nüchterner; sie lässt es dennoch nicht an Präzision, Poesie und Treffsicherheit mangeln.

Die Dichterin verzichtet dabei auf Brüche und Experimente. Das eher behutsame und wohldosierte Spiel mit Sprache zeigt sich in der formalen Anlage. Im Deutschen prägen zahlreiche Enjambements („In der Kopfzeile der Fuß/ Note der Nachricht“, „Wir legen jetzt Regen/ Ketten um/ Tag und Nacht“) oder sanfte Übergänge von Satz zu Vers den Text. Die Sätze gleiten ineinander, Bedeutung schimmert zwischen den Zeilen. Auffällig ist zudem der konsequente Verzicht auf Satzzeichen, der der ansonsten eher traditionellen Typografie eine gewisse Offenheit verleiht.

Das Spielerische, manchmal auch Ziellose, ist ein prägendes Moment der Gedichte. Oft wird eine Auflösung angedeutet, aber nicht geliefert. Zwischen Ich und Du öffnet sich eine Zwischenwelt, ein entre-deux, das auf eine platonische Beziehung verweist. So schreibt das lyrische Ich auf Französisch in „Wolle“ (La laine):

Je n’habite pas ta pénombre
Or tu m’as dit d’aller
Voir la mer et que trois nuits
Ne suffiraient guère

Ich reiche dir nicht in den Abend
Du sagtest das Meer
Täte mir gut aber drei Nächte
Seien zu kurz

Muse und Dichterin begegnen sich in der Distanz, im Dazwischen, in der Kunst. Naturbilder erscheinen in der Sprache als emotional lesbar und werden auf diese Weise zur poetischen Brücke zwischen Ich und Du.
Ob es diese Beziehung tatsächlich gegeben hat oder ob sie Erfindung ist, bleibt offen. Doch die Verse laden die Leserïnnen ein, dem poetischen Brückenschlag nachzuspüren, wie exemplarisch im folgenden Gedicht:

Ich soll mich hüten vor Atemnot
Meine Kiemen
Vor Unheil schützen
Im Fadenschein unter Neonröhren
Nimmst du mich aus
Dem Schleppnetz
Erst war ich Beifang
Jetzt bin ich Gischt
Mit einem Brennglas im Rücken

(aus: „Abstand“)

Beyer-Lallauret versteht es, feinfühlige und zugleich sprachlich genaue Gedichte zu gestalten. Ihre größte Stärke liegt in den Beobachtungen, den Neologismen und den sanften Übergängen – all das in einem poetischen Raum, der zusammenhält und trägt. Die Aquarelle von Friederike von Criegern übersetzen die meeres- und wassernahen Texte in eine Bildwelt, die zu Beginn jedes Kapitels mit einem Aquarell die Präzision und zugleich Anschaulichkeit der Gedichte der Dichterin unterstreichen. Ein Band, der in die Tiefe lauscht und die Leserïnnen über und durch die Gewässer mitnimmt.

Franziska Beyer-Lallauret: Lauschgoldfisch/ Brise âme. Gedichte deutsch/ französisch. Mit Aquarellen von Friederike von Criegern und einem Nachwort von Sabine Göttel. Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 2025,
129 S., 20,- €.

 

Jenseits von ‚Stirb und werde’

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