Lutz Steinbrück - Bleiben wie’s nie war

Lutz Steinbrück - Bleiben wie’s nie war

„Bleiben wie’s nie war“ – diese Paradoxie, mit der Lutz Steinbrück seinen vierten Lyrikband überschrieben hat, klingt bekannt. Sie echot unter anderem das Gedicht „Was ich habe, will ich nicht verlieren“ von Thomas Brasch, das mit seinem letzten Vers in der Sehnsucht nach der Utopie mündet: „Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“. Auch Steinbrück schreibt seinen neuen Gedichten eine Utopie-Sehnsucht ein, doch er kontrastiert sie, anders als Brasch, mit einer klar umrissenen düsteren Realität.

Der Titel weist auf Illusionen hin, die auf Nostalgie gründen und Stillstand zeitigen zugunsten einer idealisierten Vergangenheit und einer Normalität, die es nie gegeben hat. Er ist ideologie- und machtkritische Markierung eines Übergangs im politischen Spektrum: vom klassischen Konservatismus zum rechten Rand, wo autokratische Herrschaftsmodelle und Big-Tech-Ideologie längst zur Option geworden sind und Befürworter eines „Herrschaftswissens über alles“ die Erschöpfung menschlicher und natürlicher Ressourcen ohne ethisch-moralische Gewissensbisse einpreisen.

Steinbrücks Lyrik ist damit Spiegel gesellschaftlicher Risse und ideologischer Verstrickungen, was einem Gedicht wie „Zu deutsch in Kaltland“ gut abzulesen ist. Es zeichnet ein faschistoid anmutendes Land, in dem Flüsse Fassaden sind, „vereist im rechten Winkel“, sich der „Bürgersohn & Nazi-Enkel“ in sozialen Netzwerken „nach Königsberg“ träumt oder Vertriebene Vertriebene vertreiben: „aus der Mitte/ einer geschlossenen Gesellschaft/ die lauthals vor Gefahren tönt/ gewappnet gegen Transkind und Windrad“. Man wird hier an Erika Steinbach denken müssen, die dem Bund der Vertriebenen vorstand, bald nach der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 aus der CDU austrat und 2022 AfD-Mitglied wurde.

Angesichts einer solch kräftigen politischen Lyrik fragt sich, ob sie sich von Aktivismus abzugrenzen vermag. In der Tat gelingt es Steinbrück, auf Handlungsappelle zu verzichten und Ambiguität und Selbstreflexion zuzulassen: „Mein Ideologiewart“, heißt es einmal, „flüsterte mir Schnittmengen zu“. Wer sich selbst in Frage stellt, der wird auch eher für den Widerspruch empfänglich sein: „die Sprüche wieder/ und wieder/ die Widersprüche/ wahrzunehmen/ aufzufassen/ zuzulassen/ abzugeben“.

Zentral für die Gesellschaftsanalyse des Bandes ist die Definition des „urbanen Körpers“. Stadtmenschen finden sich zu „aufgepumpten Menschenbläschen“ reduziert. Ihr Ziel innerhalb der „verkauften Stadt“ bleibt offen, will aber schnell erreicht sein. Wohin das Gedicht auch schaut: mechanische Daseinsweise, Stress, Entfremdung. Der „Käfig“ des lyrischen Subjekts steht als „Hort“ daneben, vielleicht sogar dagegen: „in meinem Hort/ scheinen alle relativ/ im Maßstab ihrer Wunden/ in Verhältnisse gesetzt/ die kreischend/ unsere Narben streicheln“. Es ist ein „Hort multipler Krisen-Phänomene“, wo Mensch und Tier im Wortspiel von der „Ziviehlisation“ zusammengezogen sind.

Die Gedichte in „Bleiben wie’s nie war“ sind voll von punkiger Energie. Mit ihren subversiven, bisweilen kalauernden Wortspielen, mit ihrem anarchischen Humor verweigern sie Harmonie und heißen Dissonanz willkommen. So kann man es mit Ideologien und Machtstrukturen durchaus aufnehmen.

 

Lutz Steinbrück: Bleiben wie’s nie war. Gedichte. KLAK Verlag, Berlin 2025. 92 S., br., 15,– €.

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