Marit Heuß – Verschlissenes Idyll

Marit Heuß – Verschlissenes Idyll

Marit Heuß, geboren 1984 in Sachsen, legt mit Verschlissenes Idyll ihr lyrisches Debüt vor. Ein Band, der wie ein Reisejournal anmutet, voller Sprünge: von sächsischen Gruben und dem Dampf der industriellen Revolution zu portugiesischen Küsten, von Beucha bis Rom. Das lyrische Ich bleibt nie lange, tastet weiter, zieht voran.

Heuß’ Gedichte siedeln zwischen der Melancholie der Romantik und den Ruinen einer Vergangenheit, deren Schatten – Eisenbahnschienen, Grubenlampen, Fabriken – immer wieder aufscheinen. Dabei sind diese Gedichte weit mehr als atmosphärische Reisebilder: Sie sind zugleich Erkundung von Natur und Mythos, von Erinnerung und Verfall. Natur ist hier nicht bloß Kulisse, sondern auch Agens: Farn wuchert, schwarze Schnecken kriechen, Linden bergen Stimmen.

Heizer fachen die Düsen an, Heizer nicht
für unterirdisches Erz, Hitze, um heiße Seen
um uns Badende zu lagern […]
wir binden den Badegästen Grubenlampen
an die Stirnen […]

Diese Verse sind typisch für Heuß’ Sprache: rhythmisch gebündelt, von dichten Bildern gesättigt und zugleich offen für das Surreale. Auch wenn die Kapitelüberschriften wie „Stadtsternzone“ oder „Hundertlippiger Farn“ kaum Orientierung bieten, verstärken sie den Eindruck eines Schwebezustands. Dieser Schwebezustand ist ambivalent: Er kann gelesen werden als zufälliges Aneinanderreihen von Beobachtungen, aber auch als Abgesang auf eine Zivilisation, die ihre Idyllen längst verloren hat.

Die Form des Bandes – unruhig, tastend, von Gedicht zu Gedicht suchend – spiegelt genau diese Ambivalenz: kein lineares Narrativ, sondern eine sich konzentrisch ausbreitende Bewegung. Das ‚verschlissene Idyll‘ ist letztendlich aber weniger eine Klage als eine vorsichtige Bestandsaufnahme: ein Ertasten dessen, was noch bleibt, auch wenn es nur als brüchiger Nachhall vergangener Schönheit existiert. In „Alt Placht“ etwa wird das Ich selbst Teil des Holzes, kriecht in die Stämme, um ein anderes Leben zu erproben:

so umgeben von hölzerner Haut, sonnenwarm die Rinde,
untrügerisch spröd […]

So entstehen Räume, die konkret und zugleich unheimlich sind: Erinnerungslandschaften, die von brüchiger Zeit und versunkener Pracht sprechen. Heuß’ Gedichte feiern dabei weniger das erinnerte Idyll als vielmehr dessen Widerständigkeit: dass selbst das Verschlissene weiterlebt, sei es in versprödeten Baumrinden oder in den wuchernden Farnen am Rand des Weges.

Marit Heuß: Verschlissenes Idyll. poetenladen Verlag, Leipzig 2025, Reihe Neue Lyrik – Band 29, herausgegeben von J. Igel, J. Kuhlbrodt, Kulturstiftung Sachsen. Hardcover, 96 S., 19,80 €.

Verletzte Übergänge

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Meerlandschaft mit toter Ziege

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