Franziska Ostermann - versen
Weiß ist die Farbe der Saison, sie bietet genügend Fläche für alle möglichen Projektionen oder Wie-Vergleiche, für jedes Kopfkino. Dies dachte sich wohl auch der Lyriker und Herausgeber Ron Winkler, der nach Schneegedichte und Die Schönheit ein deutliches Rauschen der Farbe Weiß eine weitere lesenswerte Anthologie gewidmet hat, die kürzlich unter dem Titel Weißabgleich erschienen ist. Wie viele Facetten von Weiß es gibt, kann man dort nachlesen bzw. entdecken. Es müssten ganze Bibliotheken von weißen Gedichten angelegt werden, um sich diesem Phänomen, dieser wundersamen Farbwelt ganz hingeben zu können. Dass in der Anthologie Gedichte der Autorin und Bildendenden Künstlerin Franziska Ostermann fehlen, ist bedauerlich und eigentlich nur dem Umstand zu schulden, dass ihr erster Band versen, ein Konzeptalbum aus weißen Räumen, einige Monate zu spät erschienen ist, aber nicht eigentlich zu spät. Denn man wird unter den Debütbänden der letzten Jahre nichts Vergleichbares finden, so stilsicher und gleichzeitig enigmatisch sind diese Texte, die eine eigene Architektur der Worte und Sätze erfinden. Wie durch einen Spiegelsaal scheint man zu gehen, wenn man das Buch aufschlägt, das an sich ein Kunstwerk ist: Das Bildnerische in Form von chromatischen Zeichnungen fließt mit der poetischen Sprache zusammen, verbindet sich kühl auf einer glitzernden Oberfläche. Und ein Wissen blitzt auf, wenn es fragend heißt: „bin ich ein nicht zu lesendes land“. Wie bei allen zeitgenössischen Poesien stellt sich die Frage nach der Lesbarkeit. Im Fall von Franziska Ostermann kann man zurecht behaupten, dass ihre Texturen eine große Durchlässigkeit besitzen. Hier ist alles Transparenz und gleichzeitig wie beim Schlittschuh laufen auf einem gefrorenen See: Findet man lesend die richtige Bindung, trägt das Eis. Aus den Versen von Franziska Ostermann spricht nichts Uneindeutiges, einzig Klarheit in Form von Fläche, von Kristallen und ewigem Weiß. Man kann es ein reduktives Bildverfahren nennen, auch etwas Zurückgenommenes, kaum Sichtbares. „weiße Quadrate“ – wie sie schreibt und dass man vorsichtig sein muss, verletzlich und mutig: „an einem Unter/ das keine Richtungen hat, will ich nicht an etwas/ ertrinken, das wasserlos ist.“ Es ist dies ein Kunstgriff, dass wie per Klick eine weitere Ebene aufscheint in virtuellen Räumen, die sich öffnen wie begehbare Kleiderschränke des Universums: „aber wohin wäre es, wenn es nicht eins wäre? Ins Web aber nicht hinein, sondern aus sich heraus, aber sag mir, ist ein gerissenes Seil zwei Seile oder ein Riss“. In den passagenartigen Texten scheint auf, dass das Körperliche, die Anziehung und Beziehung zwischen zwei Personen, einer Brüchigkeit unterliegt. Auf seltsame und seltene Weise gelingt Franziska Ostermann der Einklang eben zwischen der Anziehung und einer Abstoßung im Raum. Durch all das Weiße hindurch, man sehe eine Schnee- und Eiswüste, die sich über die chromatisch-silbernen Lettern legt, bewegen sich die Körper, auch Sprachkörper, die, so wie es Gottfried Benn umschrieb, das Weiche erhärten, es formen und modellieren.
In das „Weiße Album“ von Franziska Ostermann mischt sich auch eine weiße Trauer, wie man sie aus asiatischen Thrillern kennt. Eine weiße Grenze, ganz aus Trauer gewebt, hinter der das Totenreich liegt. Diese Trauer ist real und gegenwärtig, da versen das letzte Gedichtbuch ist, das der Verleger, Autor und Künstler Michael Wagener gestaltet und publiziert hat. Er starb nach kurzer schwerer Krankheit in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober. Über diesen Verlust zu sprechen, bedeutet, eine weiße Seite aufzuschlagen, die für immer leer bleiben muss. Es bedeutet, Michael Wagener, der über zwanzig Jahre diesen kunstbesessenen Independent-Verlag betrieben hat, an einem anderen Ort zu suchen. In einer weißen Stille, die es vermutlich nicht gibt. Was man jedoch imaginieren kann: dass er dort ist und auf uns wartet. Was die Zukunft des Gutleut-Verlags angeht: sie ist alles andere als gesichert. Dies betrifft junge Poetinnen wie Franziska Ostermann gleichermaßen wie eine nicht geringe Zahl an Hausautoren und weitere mögliche Übersetzungsprojekte aus anderen Sprachen.
Franziska Ostermann: versen. Gutleut Verlag, Frankfurt am Main, 2025. 97 S., 30,– €.

