Mirko Bonné – Wege durch die Spiegel
Pünktlich zum 60. Geburtstag des Autors ist der neue Gedichtband von Mirko Bonné Wege durch die Spiegel erschienen und macht den Freunden und Freundinnen der Poesie ein unverhofftes Geschenk. So heißt es im ersten Gedicht: „Wach auf, mein Herz, und weise wisse / Wir haben bei Weitem noch nicht alles geliebt“. Man denke an die Verse von Hermann Hesse: „Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“ aus seinem berühmten Gedicht „Stufen“. Weisheit und Wissen, zwei entfernte Geschwister, werden in Bonnés Eröffnungstext zugleich aufgerufen, und fast schon im Ton eines Klassikers klingt hier das poetische Programm des Dichters an: Das All zu umfassen und alles, nicht einiges, der Liebe zuzuschreiben. Und das Herz - „Geh aus, mein Herz“, möchte man weiter replizieren, so rühren uns diese Verse. Im Stile einer Villanelle bezaubert Mirko Bonne und spricht von Wind und Sternen, Sonnen und Bäumen.
Bonnés Dichtung ist mit Erinnerungen angefüllt, nicht ohne eine Prise Wehmut. Bilder der Kindheit flackern auf, Orte und Lebensstationen, als wolle der Autor die verlorene Zeit einholen. Die sprachmagische, an der Moderne geschulte Beschwörung einer brüchigen Erinnerungskraft, wie man sie in vielen Gedichten Bonnés findet, scheint das eigentliche Element seiner Dichtung zu sein. Dinge und Wesen, vergangene Augenblicke wieder zum Leben zu erwecken – nicht immer geschieht dies ohne Weichzeichnung. Mitunter rühren die Gedichte an etwas Sentimentales, wenn „süß summt / am Ufer des Largue eine Stockrose“. Als gäbe es die Stelle, an die man zurückgehen könnte, wo man den ersten falschen Schritt gesetzt hat, begeben sich Bonnés Verse mitunter an seichtes Gewässer und die gedichtete Erinnerung, eben jener Spiegel, scheint uns in einem trüben milchigen Licht. Doch sind die Verse in einem warmen Ton komponiert, und es wimmelt nur so von Reminiszenzen und Verbeugungen vor Dichtergrößen wie Ritsos, Borchert, Brodsky und anderen, mit ausführlichen Widmungen an Zeitgenossen, meistens von leichter Hand. Als würde der Dichter an jedem Ort einen lyrischen Fußabdruck hinterlassen, ob in Edenkoben an der Weinstraße oder im Märchenreich der Poesie, in jenem Orplid, von überall her erreichen uns die Zeilen und Botschaften, auch von dort, wo van Gogh Felder malte und Rolf Dieter Brinkmann mit der STVO in Konflikt kam. Lyrische Postkarten, die uns der Dichter sendet aus der Provence oder dem Oldenburger Land.
Dass hinter den Wegen durch die Spiegel das Grauen lauert, wird in einem Kapitel des Bandes deutlich, das in das ehemalige Litzmannstädter Ghetto nach Łódź führt. In den „Różewicz -Liedern“ trifft man auf aufgerautes Material, das um deutsche Geschichte, Krieg und Völkermord kreist, um die Person der Großmutter als Mitläuferin im Nazi-Regime. Ein Hinterfragen, notwendig, drängend und klar, ohne Ausflüchte: „Da fährt / der Bus / der Linie 7 / Den nehmen bloß Tote“. Und die Wespen, auf Französisch Guepes, die den Tod riechen im Schweiß unter dem Armband, die anders als im Gedicht in der Wirklichkeit recht friedfertige Wesen verkörpern, sie können „brummendes Zyankali“ sein im schönen Schein der Lyrik. Aber ist es nicht das, was uns in den Nächten singen macht, der Klang und die helle Freude? Und die Ameisen gibt es: „Sie begrüßen jede Pore / im Beton, und sie wissen, / die Süße der Feigen hängt / vom Wind ab…“. Noch in der scheinbar niederen Kreatur entdeckt Mirko Bonné die Schönheit der Schöpfung und gibt ihr eine ethische Entsprechung in seiner poetischen Verwandlung und einer inneren Zugewandtheit.